§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Erweiterte Kürzung im Erhebungszeitraum der Veräußerung der letzten Immobilie

FG Münster vom 27.10.2022 – 10 K 3572/18 G [III R 1/23]

Der Gewerbesteuer unterliegt nach § 6 GewStG der Gewerbeertrag. Dieser bestimmt sich gemäß § 7 S. 1 GewStG nach den Vorschrift des Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht für die Ermittlung des Gewinns, der für gewerbesteuerliche Zwecke zu modifizieren und um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu vermehren und um Kürzungen nach § 9 GewStG zu vermindern ist.

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist der Gewerbeertrag auf Antrag um den Teil zu kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfällt (erweiterte Grundbesitzkürzung). Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt oder eine der im Gesetz aufgeführten Nebentätigkeiten ausüben, sofern die Anwendung der erweiterten Grundbesitzkürzung nicht nach § 9 Nr. 1 S. 5 GewStG ausgeschlossen ist. Zweck der Regelung ist die Vermeidung einer Schlechterstellung einer grundbesitzenden Gesellschaft, die nur kraft ihrer Rechtsform der Gewerbesteuer unterliegt, gegenüber einer vermögensverwaltenden Gesellschaft.

Voraussetzung der erweiterten Kürzung ist daher, dass sich die Gewerbesteuerpflicht des Unternehmens allein aus der gewählten Rechtsform ergibt und keine originäre gewerbliche Tätigkeit nach § 15 Abs. 2 EStG vorliegt.

Die erweiterte Grundbesitzkürzung ist daher auch dann ausgeschlossen, wenn die Betätigung der steuerpflichtigen Person nach den Grundsätzen des gewerblichen Grundstückshandels als gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG qualifiziert. Das ist vereinfacht gesagt einmal der Fall, wenn innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren mehr als drei Objekt angeschafft und veräußert werden. Zudem kann auch schon der Verkauf einer einzigen Immobilie als gewerblicher Grundstückshandel qualifizieren, wenn bereits bei Erwerb der Immobilie eine Weiterveräußerungsabsicht vorgelegen hat.

Ob eine ausschließliche Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes vorliegt, bedarf dann der Prüfung, wenn kleine originär gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG vorliegt, denn aus der Nichtvorliegen des Einen folgt nicht das Vorliegen des Anderen.

Das Tatbestandsmerkmal der Ausschließlichkeit hat eine sachliche wie auch eine zeitliche Komponent.

In zeitlicher Hinsicht ist das Tatbestandsmerkmal während des gesamten Erhebungszeitraums, § 14 GewStG, zu erfüllen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Veräußerung der letzten Immobilie mit wirtschaftlicher Wirkung zum 31.12. um 23:59 Uhr keinen Verstoß gegen die zeitliche Komponente der Ausschließlichkeit darstellt, da insoweit ausgeschlossen ist, dass eine wirtschaftliche Aktivität in der verbleibenden Minute entfaltet wird, BFH vom 11.08.2004 – I R 89/03, BStBl. 2004 II 1080. Dem liegt zu Grunde, dass die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes Haupttätigkeit der steuerpflichtigen Person sein muss, BFH vom 20.01.1982 – I R 201/78, BStBl. 1982 II 477. Mithin war die erweiterte Grundbesitzkürzung zu versagen, wenn nachlaufend die Verwaltung und Nutzung eigenen Kapitalvermögens vorgenommen wird und der Zeitraum länger als die anerkannte Minute andauerte.

In sachlicher Hinsicht hat die Ausschließlichkeit eine qualitative und eine quantitative Komponente, BFH vom 26.02.2014 – I R 47/13, BFH/NV 2014, 1395 sowie BFH vom 26.02.2014 – I R 6/13, BFH/NV 2014, 1400. Die Tätigkeit darf darüber hinaus nur in dem ausdrücklich erlaubten Maß die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes überschreiten.

Aus der Entscheidung des Finanzgericht Berlin-Brandenburg vom 05.05.2016 – 6 K 6359/12, EFG 2015, 1468 geht hervor, dass es zur Einkünfteerzielung kommen müsse. Das bloße Innehaben einer Forderung, bei der die Erzielung von Einkünften ausgeschlossen ist, stelle keine beachtliche Tätigkeit dar. Diese Ansicht des Finanzgerichtes wurde höchstrichterlich durch BFH vom 18.05.2017 – IV R 30/15, BFH/NV 2014, 1191 jedoch nicht bestätigt, da im konkreten Fall bereits der Erhebungszeitraum mit der Veräußerung der Immobilie nach § 14 S. 3 GewStG abgelaufen war, so dass es auf die nachlaufenden Betätigungen der steuerpflichtigen Gesellschaft nicht mehr ankam. Das Finanzgericht Münster hat sich den vorstehenden Erwägungen des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg angeschlossen, da im Streitfall der letzte Immobilie mit „wirtschaftlicher Wirkung zum Beginn des 31.12.“ veräußert wurde. Gründe für den gewählten Veräußerungszeitpunkt sind der Entscheidung nicht zu entnehmen.

Gegen die Entscheidung hat die Verwaltung Revision eingelegt, die unter III R 1/23 beim BFH anhängig ist.

§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Vermietung innerhalb einer Organschaft (mit anschließender Weitervermietung an eine nicht organschaftlich verbundene Gesellschaft)

FG Düsseldorf vom 22.09.2022 – 9 K 2833/21 G, EFG 2023, 136

[aufgehoben durch BFH vom 11.07.2024 – III R 41/22]

Der Gewerbesteuer unterliegt nach § 6 GewStG der Gewerbeertrag. Dieser bestimmt sich gemäß § 7 S. 1 GewStG nach den Vorschrift des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts für die Ermittlung des Gewinns, der für gewerbesteuerliche Zwecke zu modifizieren und um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu vermehren und um Kürzungen nach § 9 GewStG zu vermindern ist.

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist der Gewerbeertrag auf Antrag um den Teil zu kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfällt (erweiterte Grundbesitzkürzung). Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt und daneben keine andere als eine der im Gesetz aufgeführten Nebentätigkeiten ausüben und sofern und soweit die Anwendung der erweiterten Grundbesitzkürzung nicht nach § 9 Nr. 1 S. 5 GewStG ausgeschlossen ist. Zweck der Regelung ist die Vermeidung einer Schlechterstellung einer grundbesitzenden Gesellschaft, die nur kraft ihrer Rechtsform der Gewerbesteuer unterliegt, gegenüber einer vermögensverwaltenden Gesellschaft.

Darüber hinaus ist anerkannt, dass Geschäftsbeziehungen innerhalb eines Organkreises grundsätzlich nicht zu gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen und Kürzungen führen, BFH vom 18.05.2011 – X R 4/10, BStBl. 2011 II 887; BFH vom 30.10.2014 – IV R 9/11, BFH/NV 2015, 227; H 2.3 GewStH i.V.m. R 7.1 Abs. 5 S. 3 GewStR 2009. Damit wird vermieden, dass durch Aufspaltung des Geschäftsbetriebes in verschiedene Gesellschaften der Ertrag gewerbesteuerfrei gestellt werden kann, wohingegen der gegenläufige Aufwand vor Hinzurechnung zur Minderung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage führt.

Fraglich ist, ob das auch im Fall der Weitervermietung an außenstehende Dritte gilt. Gegen eine Anwendung der vorstehend genannten Grundsätze auch in diesem Fall spricht nach Ansicht des Gerichtes, dass hierdurch eine Benachteiligung gegenüber anderen Marktteilnehmenden eintritt. [Keinen Hinweis enthält die Entscheidung darauf, welche Konstellationen das Gericht miteinander vergleicht.]

Nach Ansicht des Gerichts sei der grundbesitzenden Organgesellschaft die erweiterte Kürzung daher zu gewähren. Diese sei jedoch, so das Gericht weiter, auf den Betrag zu begrenzen, der die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 lit. e GewStG bei der weitervermietenden Schwestergesellschaft übersteigt. Denn anderenfalls bliebe die Hinzurechnung gegenläufig unberücksichtigt.

[Hinweis: Vor dem Hintergrund des gesetzlichen Zwecks der erweiterten Kürzung, eine Schlechterstellung von Gesellschaften, die Kraft Gesetzes der Gewerbesteuer unterliegen, gegenüber einer rein vermögensverwaltenden Tätigkeit zu vermeiden, ist Gegenstand des Vergleichs eine Organisation der grundbesitzenden Gesellschaft als vermögensverwaltende Gesellschaft wobei es auch eine mögliche Gewerbesteuerpflicht der Anteilseigner nicht ankommt. Dieser Vergleich ist jedoch dahingehend einzuschränken, dass eine Aufgliederung des Geschäftsmodells auf verschiedene rechtliche Einheiten unter Begründung einer Organschaft dieser Einheiten der steuerpflichtigen Person nicht den Zugang zur erweiterten Kürzung gestatten darf, wenn insgesamt die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung für den Organkreis nicht vorliegen. Wäre jedoch ohne die Aufgliederung die erweiterte Kürzung zu gewähren, dürfte die Aufgliederung der geschäftlichen Aktivitäten auf verschiedene Gesellschaften innerhalb eines Organkreises einer erweiterten Grundbesitzkürzung nicht entgegenstehen. Strukturell unrichtig wäre indes nach dem vorstehend Gesagten ein Vergleich der Organisationsstruktur mit und ohne Organschaft.]

[Hinweis: Das Gericht versteht die Äußerung des I. Senates im Rahmen der Divergenzanfrage des IV. Senates, BFH vom 20.05.2021 – IV R 31/19, BStBl. 2021 II 768, in der Entscheidung des BFH vom 16.09.2021 – IV R 7/18, BFH/NV 2022, 377, dahingehend, dass der I. Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung zum Durchgriffsverbot bei Schwesterkapitalgesellschaften betreffend das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung festhalten wird. Es brauchte daher ein Vorliegen einer kapitalistischen Betriebsaufspaltung nicht zu prüfen.]

Geschützt: § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG: Das Tatbestandsmerkmal Gesellschafter oder Genosse setzt keine Mindestbeteiligungsquote voraus

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§ 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG: Verpachtung durch eine Personengesellschaft an gewerbliche Schwesterpersonengesellschaft

BFH vom 01.06.2022 – III R 3/21

Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ist nach § 6 GewStG der Gewerbeertrag. Nach § 7 S. 1 GewStG ist der Gewerbeertrag, der nach einkommensteuerrechtlichen und körperschaftsteuerrechtlichen Vorschriften ermittelte Gewinn, der um die Hinzurechnungen und Kürzungen korrigiert und für gewerbesteuerlichen Zwecke modifiziert ist.

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz verwalten und nutzen, die erweiterte Grundbesitzkürzung eröffnet. Diese ist jedoch nach § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG ausgeschlossen, wenn der Grundbesitz ganz oder zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen dient. In diesem Fall liegt dem Grunde nach keine rein vermögensverwaltende Tätigkeit vor, die aufgrund der Rechtsformwahl der Gewerbesteuer unterliegt. Ohne die Zwischenschaltung der grundbesitzenden Gesellschaft wäre der Grundbesitz dem Gewerbebetrieb des Gesellschafters oder Genossen zuzurechnen und die Grundstückserträge würden in den Gewerbebetrieb des Gesellschafters oder Genossen einfließen, BFH vom 17.01.2006 – VIII R 60/02, BStBl. 2006 II 434.

Gesellschafter oder Genosse einer grundbesitzenden Gesellschaft ist die gesellschaftsrechtlich beteiligte Person.

Gewerbebetrieb des Gesellschafters oder Genossen ist zum einen der unmittelbare Gewerbebetrieb dieser Person. Zum anderen ist auch der Gewerbebetrieb einer Mitunternehmerschaft, an der der Gesellschafter oder Genossen mitunternehmerisch beteiligt ist, Gewerbebetrieb im Sinne der Norm. Auf Art und Umfang der Beteiligung kommt es nicht an, BFH vom 22.01.2009 – IV R 80/06, BFH/NV 2009, 1279. Denn jeder Mitunternehmer kann zusammen mit den anderen Mitunternehmern jeweils als Unternehmer des ganzen Gewerbebetriebes betrachtet werden, BFH vom 18.12.1974 – I R 10/73, BStBl. 1975 II 268. Das gilt jedenfalls für persönliche haftende Gesellschafter, BFH vom 07.08.2008 – IV R 36/07, BStBl. 2010, 988 und zwar auch dann, wenn er nicht am Vermögen oder dem Gewinn und Verlust beteiligt ist. Im Übrigen kann bei lediglich äußerst geringer Beteiligung an der mietenden Gesellschaft eine Ausnahme im Sinne einer Bagatellregelung erwogen werden, BFH vom 26.06.2007 – IV R 9/05, BStBl. 2007 II 893.

Der Grundbesitz dient dem Gewerbebetrieb des Gesellschafters, wenn er diesem bereits allgemein von Nutzen ist, BFH vom 18.12.2014 – IV R 50/11, BStBl. 2015 II 597. Keine notwendige Voraussetzung ist das Vorliegen eines Miet- oder Pachtvertrages.

Unerheblich ist die Art und der Umfang des überlassenen Grundbesitzes.

Rechtsfolge des § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG ist der Ausschluss der Anwendung der erweiterten Kürzung in vollem Umfang und nicht nur in dem Umfang, wie die Beteiligung des Gesellschafters oder Genossen reicht.

§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Billigkeitsregelungen im Rahmen der Überlassung von (möblierten) Wohnungen an vor dem Krieg in der Ukraine Geflüchtete

gleichlautende Ländererlassen vom 31.03.2022, FR 2022, 376

Die erweiterte Grundbesitzkürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG setzt voraus, dass die steuerpflichtige Person ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt.

Soweit neben dem Grundbesitz auch bewegliche Sachen Gegenstand der Verwaltung und Nutzung sind, scheidet die erweiterte Kürzung wegen des Verstoßes gegen das Ausschließlichkeitsprinzip aus.

Durch die Einführung einer Bagatellgrenze in § 9 Nr. 1 S. 3 lit. c GewStG ist die strikte Ausschließlichkeit aufgeweicht worden. Außerhalb dieser Bagatellgrenze bleibt die Ausschließlichkeit jedoch bestehen. Von der Bagatellgrenze erfasst sind unmittelbare Vertragsbeziehungen mit den mietenden Personen. Soweit mittelbar Vertragsbeziehungen zu den mietenden Personen bspw. im Rahmen einer zwischenmietenden Person bestehen, findet die Bagatellgrenze keine Anwendung.

Überlässt nun eine steuerpflichtige Person möblierten Wohnraum kann das weiterhin zum Ausschluss der erweiterten Grundbesitzkürzung führen.

Aus Billigkeitsgründen wird die Finanzverwaltung bei der entgeltlichen Überlassung möblierten Wohnraums an vor dem Krieg in der Ukraine Geflüchteten bis 31.12.2022 nicht auf den Tatbestand der Gewerblichkeit prüfen.

[Hinweis: Um dem Zweck der Billigkeitsregelung gerecht zu werden, wird die Finanzverwaltung auch nicht prüfen dürfen, ob das ein Verstoß gegen das Ausschließlichkeitsgebot durch die entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung der Einrichtungsgegenstände vorliegt.]

Darüber hinaus sind sonstige Unterstützungsleistungen, wie bspw. die entgeltliche Zurverfügungstellung von Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln oder Kleidung, nur kürzungsunschädlich, wenn sie die Bagatellgrenze nach § 9 Nr. 1 S. 3 lit. c GewStG nicht übersteigen.

[Hinweis: Die Formulierung deutet darauf hin, dass die entgeltliche Überlassung von möbliertem Wohnraum bei der Berechnung der Bagatellgrenze unberücksichtigt bleibt.]

Aus Billigkeitsgründen gelten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine als (mittelbare) Mieter im Sinne des § 9 Nr. 1 S. 3 lit. c GewStG, wenn die Wohnungen an z.B. juristische Personen des öffentlichen Rechtes vermietet und von diesen an die Geflüchteten überlassen werden.

[Hinweis: Offen bleibt daher die Frage, ob auch mittelbare Mieter Mieter im Sinne des § 9 Nr. 1 S. 3 lit. c GewStG sind.]

§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Originär gewerbliche Tätigkeit; Überschreitung der Grenzen der schlichten Vermögensverwaltung

FG Berlin-Brandenburg vom 18.01.2022 – 8 K 8008/21, NWB IAAAI-57928

Die erweiterte Grundbesitzkürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist auf Antrag zu gewähren, wenn die steuerpflichtige Person ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt.

Der Begriff der Verwaltung und Nutzung entspricht dem ertragsteuerlichen Begriff der Vermögensverwaltung. Denn Zweck der Vorschrift ist die Herbeiführung einer rechtsformneutralen Besteuerung. Ohne die erweiterte Grundbesitzkürzung unterlägen immobilienverwaltende Unternehmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie der Gewerbesteuer. Die private Investition in einen Immobilienbestand unterläge dem entgegen jedoch nicht der Gewerbesteuer.

[Hinweis: Vgl. Fuest/Hey/Spengel: Vorschläge für eine Reform der Immobilienbesteuerung, Ifo Schnelldienst 12/2021, S. 31 zur Richtigkeit der These von der Vermeidung der Doppelbesteuerung]

Keine Vermögensverwaltung im ertragsteuerlichen Sinne liegt vor, wenn im Einzelfall gewerblicher Grundstückshandel vorliegt. Dieser zeichnet sich durch die Nachhaltigkeit der Tätigkeit aus, die durch Wiederholungsabsicht gekennzeichnet ist. Das ist zuerst einmal der Fall, wenn ein einzelnes Objekt in der Absicht der gewinnbringenden Weiterveräußerung erworben oder bebaut wird, BFH vom 10.12.2001 – GrS 1/98, BStBl. 2002 II 291. Zudem hat die Rechtsprechung herausgearbeitet, dass die Veräußerung von mehr als drei Objekten innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren als gewichtiges Indiz für eine gewerbliche Tätigkeit anzusehen ist. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände kann die Gewerblichkeit ausgeschlossen sein. Bei einer Veräußerung von mehr als fünf Objekten innerhalb von drei Jahren ließe sich die Wiederholungsabsicht auch nicht widerlegen. Es sei dann unerheblich, ob Gründe wie die langfristige Finanzierung oder der Erwerb mit langjähriger Halteperspektive gegen eine Wiederholungsabsicht sprechen würden.

Nach Ansicht des Gerichts ist bei der Prüfung der Wiederholungsabsicht nicht auf die steuerpflichtige Person, sondern auf den Willen der geschäftsführenden Personen abzustellen. Dieser Wille der geschäftsführenden Personen ist – anders als die Haftung aber auch die Gewinnchancen – nicht abzuschirmen. Denn die Investitionsentscheidung trifft in diesem Fall nicht der Geschäftsführer der steuerpflichtigen Person, sondern die Geschäftsführung der Obergesellschaft. Die Objektgesellschaft führt nur noch den Willen der Obergesellschaft aus.

Ist eine Person also innerhalb einer Immobiliengruppe bei mehreren Objektgesellschaften geschäftsführend tätig (Personenidentität), spricht das Vorliegen der Wiederholungsabsicht bei einer Objektgesellschaft auch für eine Wiederholungsabsicht bei anderen Gesellschaften bei denen die Person geschäftsführend tätig ist.

Neben der Frage, ob der Anwendungsbereich der erweiterten Grundbesitzkürzung schon gar nicht eröffnet ist, weil die steuerpflichtige Person eine originär gewerbliche Tätigkeit in Form des gewerblichen Grundbesitzes ausübt, kann die erweiterte Grundbesitzkürzung auch deswegen ausgeschlossen sein, weil sich die konkrete Tätigkeit der steuerpflichtigen Person als Verstoß gegen das Ausschließlichkeitsprinzip zeigt, BFH vom 05.03.2008 – I R 56/07, BFH/NV 2008, 1359.

Die erweiterte Grundbesitzkürzung setzt nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG voraus, dass die steuerpflichtige Person ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt. Dabei ist unter verwalten und nutzen eine vermögensverwaltende Tätigkeit im ertragsteuerlichen Sinn zu verstehen. Eine solche wird jedenfalls dann nicht ausgeübt, wenn die steuerpflichtige Person eine Tätigkeit ausübt, die nicht mehr vermögensverwaltend ist. Von einer privaten Vermögensverwaltung ist dabei nicht mehr auszugehen, wenn die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt.

§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Erstjahr

BFH vom 27.10.2021 – III R 7/19, BFH/NV 2022, 242

[Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 10.12.2018 – 8 K 8131/17, EFG 2019, 1221]

Die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft gilt nach § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb und löst damit eine Gewerbesteuerpflicht der Gesellschaft aus.

Die Gewerbesteuer bemisst sich nach dem Gewerbeertrag, § 6 GewStG. Dieser ermittelt sich nach § 7 S. 1 GewStG auf Grundlage des nach einkommen- und körperschaftsteuerlichen Vorschriften zu ermittelnden Gewinn, der entsprechend dem Wesen der Gewerbesteuer zu modifizieren ist, vermehrt um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG und vermindert um Kürzungen nach § 9 GewStG.

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist der Gewerbeertrag auf Antrag um den Teil zu kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfällt (erweiterte Grundbesitzkürzung).

Voraussetzung für die Gewährung der erweiterten Grundbesitzkürzung ist, dass das Unternehmen ausschließlich – auch in zeitlicher Hinsicht – eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt. Unschädlich ist, wenn neben der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes weitere aufgezählte Tätigkeiten verrichtet werden. Schädlich ist hingegen, wenn vor oder nach der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes eine der aufgezählten unschädlichen Tätigkeiten ausgeübt wird. Für den Fall der Tätigkeit nach Veräußerung des letzten Grundstücks ist das höchstrichterlich bereits durch BFH vom 20.01.1982 – I R 201/78, BStBl. 1982 II 477 entschieden worden. Im Entscheidungsfall endete der Erhebungszeitraum nach § 14 S. 3 GewStG mit der Veräußerung der letzten Immobilie nicht. Damit fehlte es an der zeitlichen Ausschließlichkeit der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes. Nichts anderes gilt für den Fall der Aufnahme der Tätigkeit. Beginnt der Erhebungszeitraum nach § 14 S. 3 GewStG für eine Kapitalgesellschaft bereits mit deren Eintragung im Handelsregister, da ihre Tätigkeitnach § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, fehlt es auch insoweit an einer zeitlich ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes im Erstjahr.

§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Zur erweiterten Kürzung im Fall der Verwaltung und Nutzung eigenen Kapitalvermögens vor Beginn der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes

BFH vom 27.10.2021 – III R 7/19, NWB NAAAI-01616

[Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 10.12.2018 – 8 K 8131/17, EFG 2019, 1221]

Die erweiterte Grundbesitzkürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist auf Antrag zu gewähren, wenn die steuerpflichtige Person ausschließlich eigenen Grundbesitz und daneben eigenes Kapitalvermögen verwaltet und nutzt.

Die Verwaltung und Nutzung eigenen Kapitalvermögens ist also nur dann unschädlich, wenn sie neben der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes erfolgt, nicht aber, wenn sie vor Beginn oder nach Ende einer solchen erfolgt.

Zudem ist die Ausschließlichkeit in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Sicht zu verstehen. In zeitlicher Hinsicht bedeutet das, dass die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes während des gesamten Erhebungszeitraum vorliegen muss. Das folgt aus dem Charakter der Gewerbesteuer als Jahressteuer, BFH vom 29.03.1973 – I R 199/72, BStBl. 1973 II 563.

Hinweis: Bei originär gewerblicher Tätigkeit beginnt der Erhebungszeitraum nach § 14 S. 3 GewStG erst mit der Aufnahme der werbenden Tätigkeit. In den Fällen des § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG beginnt die sachliche Steuerpflicht und damit der Erhebungszeitraum mit der Eintragung der Gesellschaft Handelsregister.

Anders als im Rahmen der einfachen Grundbesitzkürzung nach § 9 Nr. 1 S. 1 GewStG kommt es nicht darauf an, dass der Grundbesitz schon zu Beginn des Kalenderjahres zum Betriebsvermögen gehört hat, so aber FG Berlin-Brandenburg vom 11.12.2018 – 8 K 8131/17, EFG 2019, 1221.

Damit ist die erweiterte Kürzung nicht zu gewähren, wenn die steuerpflichtige Person als Kapitalgesellschaft nach § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG der Besteuerung unterliegt und bereits vor Erwerb der ersten Immobilie eigenes Kapitalvermögen verwaltet und nutzt und sei es nur in Form der verzinslichen Anlage der Stammeinlage.