§ 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Var. EStG: Bindungswirkung an Grundlagenbescheid auch hinsichtlich der Art der Einkünfte

BFH vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BStBl. 2020 II 649

Nichtanwendungserlass: gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 01.10.2020, BStBl. 2020 I 1032.

Aufhebung des Nichtanwendungserlass: gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 05.11.2025]

[Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 22.04.2016 – 13 K 3651/13, EFG 2016, 1246]

An der Klägerin, einer KG, waren ausschließlich natürliche Personen direkt beteiligt. Die Klägerin erzielte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen. Ein Gesellschafter übertrug sodann Beteiligungen an Flugzeugleasing-Fonds in der Rechtsform von GmbH & CO. KGs auf die KG. Das zuständige Betriebsstättenfinanzamt dieser Fonds-KG beurteilte die Einkünfte dieser Fonds-KGs als gewerblich und erlies entsprechende Feststellungsbescheide aus denen der Klägerin Verluste aus Gewerbebetrieb zugerechnet wurden.

Der BFH stellte in einem ersten Schritt fest, dass die Feststellungen des Betriebsstättenfinanzamtes im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auch hinsichtlich der Qualität der Einkünfte aus den Fonds-KGs (gewerbliche Einkünfte) nach § 182 Abs. 1 S. 1 AO Bindungswirkung für die Besteuerung auf Ebene der Klägerin, der KG, hat. Damit kann im Verfahren gegen den Folgebescheid nur die Unwirksamkeit und Nichtigkeit des Grundlagenbescheides geltend gemacht werden.

Bezieht eine Obergesellschaft, die selbst nicht gewerbliche tätig ist und auch nicht gewerblich geprägt ist, daher Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Rahmen einer Beteiligung an einer Untergesellschaft führt das nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Var. EStG zur Infektion der Einkünfte der Obergesellschaft. Die Obergesellschaft erzielt damit einkommensteuerlich insgesamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Anders als im Rahmen der Infektion nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 1. Var. EStG (Seitswärtsinfektion) besteht nach Ansicht des BFH keine Notwendigkeit zur Berücksichtigung einer Bagatellgrenze bei der Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Var. EStG.

Für Zwecke der Gewerbesteuer ist § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Var. EStG – Aufwärtsinfektion – jedoch im wegen verfassungskonformer Auslegung nicht anzuwenden.

So ist die Aufwärtsabfärbung zum Schutze des Gewerbesteueraufkommens nicht geboten, da auf Ebene der Unterpersonengesellschaft eine Gewerbesteuerpflicht besteht. Im Übrigen erfolgt eine Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG von Gewinnen aus Anteilen an Personengesellschaften und nach § 8 Nr. 8 GewStG eine Hinzurechnung von Verlusten aus Beteiligungen an Personengesellschaften auf Ebene der Obergesellschaft zur Neutralisierung des Ergebnisses der Untergesellschaft. Auch lassen sich die Einkünfte leicht voneinander abgrenzen.

Ähnlich argumentierte der BFH in der Entscheidung vom 29.03.2006 – X R 59/00, BStBl. 2006 II 661 bereits im Fall im Fall der Betriebsaufspaltung, wenn das Betriebsunternehmen die Voraussetzungen der Gewerbesteuerbefreiung verwirklicht. In diesem Fall gilt die Befreiung wegen der Merkmalszurechnung auch für das Besitzunternehmen.

Da bisher noch keine Veröffentlichung der Entscheidung um Bundessteuerblatt erfolgt ist, bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung der Entscheidung folgt. Mit dem Verweis auf die Entscheidung zur Gewerbesteuerbefreiung des Besitzunternehmens im Rahmen der Betriebsaufspaltung, die durch die Finanzverwaltung veröffentlich wurde, hat der BFH zum Ausdruck gebracht, dass er erwartet, dass sich die Finanzverwaltung der Entscheidung anschließen wird.

§ 2 Abs. 1 S. 2 GewStG: keine Anwendung der Aufwärtsabfärbung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Var. EStG

BFH Urt. v. 06.06.2019 – IV R 30/16

[Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 22.04.2016 – 13 K 3651/13, EFG 2016, 1246]

Aufwärtsabfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Var. EStG wirkt nur einkommensteuerrechtlich. Gewerbliche Einkünfte, die sich durch Umqualifikation im Wege der Aufwärtsabfärbung ergeben sind nicht gewerbesteuerbar.

2. Leitsatz der Entscheidung:

§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein gewerbliches Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt.

Der BFH begründet seine Entscheidung wie folgt:

§ 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG wurde als Reaktion auf die Entscheidung des BFH vom 06.10.2004 – IX R 53/01, BStBl. 2005 II 383 in das Gesetz eingefügt, um die bisherige Verwaltungsauffassung, wie sie sich aus R 15.8 Abs. 5 S. 4 EStR 2005 ergibt, auf gesetzliche Füße zu stellen. Hiernach führte eine im Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft gehaltene Beteiligung an einer gewerblich tätigen Gesellschaft dazu, dass die Einkünfte der Personengesellschaft insgesamt als gewerbliche Einkünfte zu qualifizieren waren.

Die Aufwärtsabfärbung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Var. EStG führt jedoch wegen der Einheit der Personengesellschaft zu einer Schlechterstellung dieser gegenüber einem Einzelunternehmer, der Einkünfte aus unterschiedlichen Einkunftsarten erzielen kann. Diese Schlechterstellung könne vor allem nicht mit dem Schutz des Gewerbesteueraufkommens begründet werden, da die infizierenden Einkünfte der Unterpersonengesellschaft selbst bereits der Gewerbesteuer unterliegen und insoweit keine Besteuerungslücke vorliegt. Folgerichtig werden diese Beteiligungseinkünfte bei der Oberpersonengesellschaft nach § 8 Nr. 8 GewStG und § 9 Nr. 2 GewStG durch Hinzurechnung von Verlusten und Kürzung von Gewinnen neutralisiert.

Zur Vermeidung einer Schlechterstellung der Personengesellschaft gegenüber einem Einzelunternehmen verbiete sich auch die Annahme, dass der Bezug von gewerblichen Einkünften aus einer Beteiligung an einer gewerblich tätigen Unterpersonengesellschaft als gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG anzusehen ist.