§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG; § 12 S. 2 Nr. 1 und S. 1 AO: Ort der Geschäftsleitung bei Vollmachtserteilung

FG Berlin-Brandenburg vom 23.03.2022 -11 K 11108/17, NWB KAAAJ-50237

[Zurückverweisung durch BFH vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl. 2022 II 844; Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 21.11.2019 – 9 K 11108/17, EFG 2020, 669]

Gewerbesteuerpflichtig ist der stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG. Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes, § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG. Im Inland wird ein Gewerbebetrieb betrieben, soweit für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird, § 2 Abs. 1 S. 3 GewStG. Das Gewerbesteuerrecht kennt keine von § 12 AO abweichende Bestimmung einer Betriebsstätte. Eine Betriebsstätte ist daher nach § 12 S. 1 AO jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient. Darüber hinaus listet § 12 S. 2 AO weitere geschäftliche Aktivitäten auf, die als Betriebsstätten anzusehen sind. Hierzu zählt nach § 12 S. 2 Nr. 1 AO auch die Stätte der Geschäftsleitung.

Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte nach § 12 S. 2 Nr. 1 AO ist der Ort, an dem sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet, § 10 AO. Werden diese Tätigkeiten an mehreren Orten ausgeübt, sind die Tätigkeiten nach ihrer Bedeutung zu gewichten und ein Ort der tatsächlichen Geschäftsführung zu bestimmen, BFH vom 22.03.2022 – III R 35/20, BStBl. 2022 II 844. Die Geschäftsführung umfasst die für das Unternehmen vorzunehmenden Geschäfte, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt, sowie solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung des Gesellschaft gehören (Tagesgeschäfte), tatsächlich wahrgenommen werden. Nicht erheblich sind die Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft, insbesondere die Festlegung der Grundsätze des Unternehmenspolitik und die Mitwirkung der Inhaber des Unternehmens an ungewöhnlichen Maßnahmen und an Entscheidungen der von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung, betreffen.

Im Übrigen ist eine Betriebsstätte im Sinne des § 12 S. 1 AO jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Ein Dienen setzt voraus, dass mittels der Geschäftseinrichtung oder Anlage eine eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird und sich in der Bindung eine gewisse Verwurzelung des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt, BFH vom 22.03.2022 – III R 35/20, BStBl. 2022 II 844. Die Geschäftseinrichtung oder die Anlage bedürfen einer festen Beziehung zur Erdoberfläche und müssen von gewisser Dauer sein. Die steuerpflichtige Person muss über sie eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht haben. Letzteres bedeutet, dass die unternehmerisch tätige Person eine Rechtsposition innehat, die ihr nicht ohne Weiteres entzogen werden kann. Dazu ist es nicht ausreichend, dass eine tatsächliche Mitbenutzung gegeben ist oder die Berechtigung zur Benutzung im Interesse eines anderen steht.

Nach den Grundsätzen der objektiven Feststellungslast trägt das Finanzamt die Darlegung- und Beweislast betreffend das Vorliegen der steuerbegründenden Tatbestandsmerkmale. Das gilt auch für die Frage, ob und wo im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird.

Der Gewerbesteuer unterliegt nach § 6 GewStG der Gewerbeertrag. Dieser bestimmt sich gemäß § 7 S. 1 GewStG nach den Vorschriften des Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht für die Ermittlung des Gewinns, der für gewerbesteuerliche Zwecke zu modifizieren und um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu vermehren und um Kürzungen nach § 9 GewStG zu vermindern ist.

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist der Gewerbeertrag auf Antrag um den Teil zu kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfällt (erweiterte Grundbesitzkürzung). Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt oder daneben Nebentätigkeiten ausübt, die im Gesetz ausdrückliche Erwähnung finden, sofern die Anwendung der erweiterten Grundbesitzkürzung nicht nach § 9 Nr. 1 S. 5 GewStG ausgeschlossen ist. Zweck der Regelung ist die Vermeidung einer Schlechterstellung einer grundbesitzenden Gesellschaft, die nur kraft ihrer Rechtsform der Gewerbesteuer unterliegt, gegenüber einer vermögensverwaltenden Gesellschaft.

§ 33 Abs. 1 GewStG: unbilliges Ergebnis der Zerlegung wegen Lasten, die durch gewerbliche Abnehmer des steuerpflichtigen Unternehmens verursacht werden

FG Saarland vom 22.08.2008 – 1 K 1213/04, NWB UAAAC-96670

Der Gewerbesteuermessbetrag unterliegt der Zerlegung nach §§ 28ff. GewStG, wenn die steuerpflichtige Person innerhalb des Erhebungszeitraumes in mehreren Gemeinde Betriebsstätten unterhält, § 28 Abs. 1 S. 1 GewStG. Vorbehaltlich des § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG erfolgt die Zerlegung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne. Führt die Zerlegung nach Arbeitslöhnen zu einem offenbar unbilligen Ergebnis, ist die Zerlegung nach einem Maßstab durchzuführen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, § 33 Abs. 1 S. 1 GewStG.

Die Zerlegung ist also nur dann durchzuführen, wenn die steuerpflichtige Person zumindest über zwei Betriebsstätten verfügt. Das Zerlegungsrecht enthält keine eigenständige Definition der Betriebsstätte. Es kann daher auf den Begriff der Betriebsstätte nach § 12 AO zurückgegriffen werden. Damit unterhält jedes Unternehmen am Ort der Geschäftsleitung eine Betriebsstätte, § 12 S. 2 Nr. 1 AO. Ort der Geschäftsleitung ist der Ort, an dem sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung nach § 10 AO befindet. Das ist der Ort an dem sich die Geschäftsführung im engeren Sinne befindet, BFH vom 07.12.1994 – 1 K 1/93, BStBl. 1995 II 175. Diese ist auf die laufende Geschäftsführung gerichtet. Sie umfasst die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Gesellschaft mit sich bringt, und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören „Tagesgeschäfte“, BFH vom 15.10.1997 – I R 76/95, BFH/NV 1998, 434.

Betriebsstätte ist darüber hinaus jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient, § 12 S. 1 AO. Diese Voraussetzungen erfüllt auch eine Brunnenanlage mit Brunnenschacht, Pumpe und abzweigender Rohranlage.

Im Fall des Auseinanderfallens von Geschäftsleitungsbetriebsstätte und fester Geschäftseinrichtung sind die Voraussetzungen mehrerer Betriebsstätten erfüllt. Die Zerlegung ist in diesem Fall nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne, die bei den Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer der einzelnen Gemeinden gezahlt werden vorzunehmen. Das kann dazu führen, dass lediglich der Geschäftsleitungsbetriebsstätte ein Zerlegungsanteil zufällt, wenn in der anderen Betriebsstätte keine Arbeitsnehmer zugeordnet sind, an die Arbeitslöhne gezahlt werden.

Unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 GewStG ist hingegen nach einem Maßstab zu zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt. Voraussetzung ist, dass die Zerlegung nach den §§ 28 bis 31 GewStG zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führt. Da die Zerlegung nach Arbeitslöhnen einem groben Maßstab folgt, ist die Ausnahmevorschrift des § 33 Abs. 1 S. 1 GewStG eng auszulegen. Dabei ist der Maßstab für die Prüfung des offenbar unbilligen Ergebnisses der gesetzlich verfolgte Zweck der Zerlegung. Dieser liegt darin den Gemeinden, die die Lasten der betrieblichen Tätigkeit des steuerpflichtigen Unternehmens in ihrem Gebiet zu tragen haben, einen Anteil am Gewerbesteueraufkommen zukommen zu lassen (Äquivalenzprinzip). Der Gesetzgeber sieht die Belastung der Gemeinden dabei in den Arbeitnehmerfolgekosten. Zu den Arbeitnehmerfolgekosten rechnen diejenigen für den Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäusern, Altenheimen usw., die durch die innerhalb des Gemeindegebietes wohnenden Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer. Eine Unbilligkeit kann daher vorliegen, wenn durch das Vorhandensein einer Betriebsstätte keine mit der Ansässigkeit von Arbeitnehmern verbundenen Folgekosten, aber Lasten anderer Art hervorgerufen werde, die im Rahmen der Zerlegung nicht berücksichtigt werden. Diese Lasten müssen einerseits jedoch ins Gewicht fallen und andererseits atypisch sein, BFH vom 26.08.1987 – I R 376/83, BStBl. 1988 II 201. Lasten dieser Art liegen jedoch nicht vor, wenn die produzierten Güter durch den einzigen Abnehmer im Gemeindegebiet verbraucht werden und im Rahmen der Geschäftstätigkeit des abnehmenden Betriebes erhebliche Belastungen der Gemeinde hervorgerufen werden.