BFH vom 14.12.2023 – IV R 2/21, DStR 2024, 940
[Vorinstanz: FG Hessen vom 19.09.2019 – 8 K 1734/14, EFG 2019, 2012]
Sind im Erhebungszeitraum Betriebsstätten zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden unterhalten worden, ist der Steuermessbetrag auf die einzelnen Gemeinden zu zerlegen, § 28 Abs. 1 S. 1 GewStG.
Das gilt auch in den Fällen, in denen sich eine Betriebsstätte über mehrere Gemeinden erstreckt, § 28 Abs. 1 S. 2 GewStG.
Erstreckt sich eine Betriebsstätte auf mehrere Gemeinden, ist der Steuermessbetrag auf die Gemeinden zu zerlegen, auf die sich die Betriebsstätte erstreckt, § 30 GewStG.
Voraussetzung für die Annahme einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte im Sinne des § 28 Abs. 1 S. 2 GewStG , § 30 GewStG ist es, dass der auf jede beteiligte Gemeinde entfallende Anteil an der mehrgemeindlichen Betriebsstätte die Voraussetzungen einer Betriebsstätte erfüllt, BFH vom 08.03.1988 – VIII R 270/81, BFH/NV 1988, 735.
Das gewerbesteuerliche Zerlegungsrecht kennt keinen eigenständigen Betriebsstättenbegriff. Daher ist auch für Zwecke der gewerbesteuerlichen Zerlegung auf den Betriebsstättenbegriff des § 12 AO zurückzugreifen, vgl. BFH vom 18.09.2019 – III R 3/19, HFR 2020, 638.
Unterhält eine steuerpflichtige Person innerhalb eines Erhebungszeitraumes sowohl eine mehrgemeindliche Betriebsstätte als auch zumindest eine weitere Betriebsstätte so erfolgt die Zerlegung mehrstufig. Auf erster Stufe erfolgt die sog. Hauptzerlegung. Diese erfolgt unter Anwendung der Zerlegungsmethode des § 29 GewStG und damit regelmäßig nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne der Betriebsstätten zueinander. Der auf die mehrgemeindliche Betriebsstätte entfallende Zerlegungsanteil ist daran anschließend im Wege der sog. Unterzerlegung auf die Gemeinden zu zerlegen, über deren Gebiet sich die mehrgemeindliche Betriebsstätte erstreckt.
Für die Unterzerlegung gibt das Gesetz in § 30 GewStG keinen konkreten Zerlegungsmaßstab vor. Die gesetzliche Regelung besagt nur, dass die Unterzerlegung nach den örtlichen Verhältnissen unter Berücksichtigung der durch das Vorhandensein der Betriebsstätte erwachsenden Gemeindelasten zu erfolgen hat. Dieser Maßstab ist grober Natur, BFH vom 28.10.1987 – I R 275/83, BStBl. 1988 II 292, und eröffent die Möglichkeit der Schätzung der Belastungen. Die Ausgestaltung des Maßstabes trägt dem Rechnung, dass es nicht möglich ist, die Belastung der Gemeinden aus der gemeinsamen Betriebsstätte zu berechnen.
Eine sachgerechte Auswahl der Zerlegungsfaktoren die diesen Anforderungen gerecht werden, bedingt die Abwägung aller Interessen, BFH vom 26.10.1954 – I B 186/53 U, BStBl. 1954 III 372; BFH vom 28.02.1956 – I B 170/54.
Die Auswahl der Zerlegungsfaktoren hat der Eigenart der mehrgemeindlichen Betriebsstätte und den Interessen der beteiligten Gemeinden in typisierender Form Rechnung zu tragen. Nicht notwendig ist es , dass eine Feststellung und Gewichtung von Art und Umfang der individuellen Beeinträchtigung und Belastung für jede Gemeinde vorgenommen wird. Es ist vielmehr ausreichend, wenn die Bestimmung der Gemeindelasten typisiert erfolgt. Dabei sind sowohl die typischen Arbeitnehmerfolgekosten („persönliche Lasten„) wie auch die „sachlichen Lasten“ zu berücksichtigen, die aus der mehrgemeindlichen Betriebsstätte für die Gemeinden ergeben. Belastungen sachlicher Art sind die Kosten für die Zufahrt zur Betriebsstätte ebenso wie diejenigen der Unterhaltung entsprechender Einrichtungen, wie der lokalen Feuerwehr, die entsprechend der gewerblichen Nutzung der Betriebsstätte, ausgerüstet sein muss. Das hat zur Folge, dass bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten anders als im Regelzerlegungsfall neben den Arbeitnehmerfolgekosten zumindest ein weiterer sachlicher Faktor zu berücksichtigen ist.
Bei der Ausgestaltung der Zerlegung stehen die persönlichen wie auch die sachlichen Lasten regelmäßig gleichgewichtig zueinander, BFH vom 28.10.1964 – I B 403/61 U, BStBl. 1965 III 113. In Zeiten der Veränderung der Arbeitswelt durch flexiblere Arbeitsmodelle und unter Einbeziehung fiskaler Vor- und Nachteile aus der Ansiedlung von Arbeitskräften in der Gemeinde kann sich jedoch eine andere Gewichtung ergeben.
Als sachlicher Zerlegungsmaßstab werden in der Rechtsprechung die in den einzelnen Gemeinden vorhandenen Betriebsanlagen der Betriebsstätte herangezogen, BFH vom 26.10.1954 – I B 186/53 U, BStBl. 1954 III 372; BFH vom 28.10.1964 – I B 403/61 U, BStBl. 1965 III 113. Dabei ist jedoch die vorgelagerte Frage zu beantworten, ob auf die historischen oder fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten in steuerlicher oder handelsrechtlicher Hinsicht abzustellen ist. Zudem muss die steuerpflichtige Person die vorhandenen Betriebsanlagen einer Betriebsstätte bzw. bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten der jeweiligen Gemeinde innerhalb der mehrgemeindlichen Betriebsstätte zuordnen. Bei Elektrizitätsunternehmen wurde alternativ auf die Menge des auf dem Gebiet einer Gemeinde abgegebenen Stroms oder auf die Betriebseinnahmen aus der Stromabgaben abgestellt, BFH vom 16.11.1954 – I B 249/62 U, BStBl. 1966 III 40; BFH vom 28.10.1987 – I R 275/83, BStBl. 1988 II 292. Soweit Gegenstand des Unternehmens der Transport von Erdgas über ein Rohrleitungssystem ist, kann auf die Menge des abgegebenen Gases abgestellt werden. Das gilt vor allem dann, wenn praktische Schwierigkeiten hinsichtlich der Zuordnung des weit überwiegenden Wertanteils der Betriebsanlagen bestehen, wie das bei einem weit verzweigten Rohrleitungssystem der Fall ist. Das gilt vor allem dann, wenn die Daten über die Abgabemenge bei der steuerpflichtigen Person ohnehin vorhanden sind oder leicht aus vorhandenen Daten abgeleitet werden können. Hieran ändert auch die Trennung von Gashandel und Gastransport (Unbundling) nichts. Auch stellt der Rückgriff auf die abgegebene Gasmenge keinen Verstoß gegen Art. 20a GG vor, weil letztlich die Gemeinde profitiert, auf deren Gebiet eine hohe Gasmenge abgegeben wird.