§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Aufhebung eines Mietvertrages vor Überlassung der Immobilie

BFH vom 25.05.2023 – IV R 33/19, FR 2023, 909

[Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 05.11.2019 – 6 K 6170/18, EFG 2018, 393]

Die sachliche Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 GewStG beginnt bei einem gewerblich geprägten Immobilienunternehmen mit dem Abschluss des ersten Mietvertrages. Das gilt selbst dann, wenn die Immobilie erst noch errichtet bzw. in den mietvertraglich bestimmten Zustand gebracht werden muss. Eine tatsächliche Überlassung ist nicht Voraussetzung für den Beginn der sachlichen Steuerpflicht. Notwendige Voraussetzung ist jedoch, dass der vermietenden Partei zumindest ein Anwartschaftsrecht auf die Immobilie zusteht, die vermietet wird.

Die Gewerbesteuer bemisst sich nach dem Gewerbeertrag, § 6 GewStG. Dieser ermittelt sich nach § 7 S. 1 GewStG auf Grundlage des nach einkommen- und körperschaftsteuerlichen Vorschriften zu ermittelnden Gewinns, der entsprechend dem Wesen der Gewerbesteuer zu modifizieren ist, vermehrt um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG und vermindert um Kürzungen nach § 9 GewStG.

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist der Gewerbeertrag auf Antrag um den Teil zu kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfällt (erweiterte Grundbesitzkürzung).

Die erweiterte Grundbesitzkürzung verfolgt dabei den Zweck bestimmte Unternehmen, die nur aufgrund ihrer Rechtsform der Gewerbesteuer unterliegen, in bestimmtem Umfang von der Gewerbesteuer durch Kürzung zu entlasten. Strukturelle Voraussetzung der erweiterten Kürzung ist daher die grundsätzlich vermögensverwaltende Tätigkeit der Gesellschaft.

Darüber hinaus ist die erweiterte Grundbesitzkürzung nur Unternehmen zugänglich, die ausschließlich eigenen Grundbesitz verwalten und nutzen.

Der Tatbestand der Verwaltung und Nutzung ist weiter gefasst als der einkommensteuerliche Begriff der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 21 EStG. Daher rechnen auch die Einnahmen aus der gelegentlichen Veräußerung der Immobilie zur Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes ebenso wie die aus der Übernahme der dinglichen Haftung durch Belastung des eigenen Grundbesitzes, die einkommensteuerlich unter § 22 Nr. 3 EStG fallen, zur Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes, BFH vom 13.08.1997 – I R 61/96, BStBl. 1998 II 270.

Zur Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes zählt auch die Aufhebung eines Mietvertrages vor der Überlassung der Immobilie. Denn der Tatbestand der Verwaltung und Nutzung knüpft nicht an die erzielten Entgelte an. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Mietvertrag notwendige Voraussetzung der Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes ist. Damit gehört auch die Aufhebung desselben zur Verwaltung und Nutzung der Immobilie.

Im Streitfall regelten die Parteien im Rahmen des Aufhebungsvertrages, dass das Mietverhältnis beendet wurde und sämtliche Ansprüche der Parteien gegeneinander durch eine Schlusszahlung an den Vermieter abgegolten wurden.

§ 9 Nr. 1 S. 2 GewStG: Zahlungen anlässlich der Beendigung eines Miet- / Pachtverhältnisses an die vermietende / verpachtende Person

FG Berlin-Brandenburg vom 05.11.2019 – 6 K 6170/18, EFG 2020, 393

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen unter weiteren Voraussetzungen um den Teil des Gewerbeertrages gekürzt, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt.

Vorausgesetzt wird, dass die Tätigkeit der steuerpflichtigen Person ausschließlich in der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes besteht und sich daneben in den in § 9 Nr. 1 S. 2ff. GewStG aufgeführten Nebentätigkeiten erschöpft. Die erweiterte Kürzung ist also zu versagen, wenn die Tätigkeit der steuerpflichtigen Person originär gewerblich im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG ist und wenn die neben der Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes ausgeübte Tätigkeit nicht zu den ausdrücklich im Gesetz genannten unschädlichen Nebentätigkeiten zählt.

[Hinweis: Eine Bagatellgrenze sah das Gesetz bis zum Erhebungszeitraum 2021 für schädliche Nebentätigkeiten nicht vor.]

Eine Bagatellgrenze Nebentätigkeiten von untergeordneter Bedeutung kürzungsschädlich, BFH vom 31.07.1990 – I R 13/88, BStBl. 1990 II 1075.

Die Rechtsprechung hatte allerdings anerkannt, dass Tätigkeiten dann nicht kürzungsschädlich sind, wenn sie der Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes im engeren Sinne dienen und als zwingend notwendiger Teil einer wirtschaftlich sinnvoll gestalteten eigenen Grundbesitzverwaltung anzusehen sind, BFH vom 14.06.2005 – VIII R 3/03, BStBl. 2005 II 778.

Was Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes ist ergibt sich aus § 9 Nr. 1 lit. 2 GewStG nicht ausdrücklich. Aus dem Sinn und Zweck der Regelung steuerpflichtige Personen, die aufgrund ihrer Rechtsform gewerbesteuerpflichtig sind, steuerlich den Personen anzunähern, die eine vergleichbare Tätigkeit erbringen, ohne dadurch gewerbesteuerpflichtig zu werden, lässt sich jedoch herleiten, dass unter dem Begriff Verwaltung und Nutzung neben der Verwendung des Grundbesitzes für eigene Zwecke vor allem die Vermietung und Verpachtung des eigenen Grundbesitzes fällt.

Darauf folgt aber auch, dass die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes nicht deckungsgleich mit der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 21 EStG ist. So unterliegen auch Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf einer Immobilie der erweiterten Grundbesitzkürzung. Aber auch eine Zahlung anlässlich der Aufhebung eines Miet- / Pachtvertrages resultiert aus der Verwaltung und Nutzung. Dabei kann es sich sowohl um eine Zahlung aufgrund eines konkreten Anspruchs als auch um eine Zahlung zur zur Beilegung von Streitigkeiten über den Bestand eines Anspruchs handeln. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Mietsache bereits übergeben wurde.

Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn im Rahmen der Abgeltung gegenseitiger Ansprüche zugleich auch Ansprüche mit verbundenen Unternehmen einfließen. Denn aus Sicht der steuerpflichtigen Unternehmens würden ohne diese Bündelung mehrere ähnliche Vertragswerke zu schließen sein, die zu entsprechenden Zahlungen führen würden.