§ 9 Nr. 3 S. 2 GewStG: Auswirkung des § 7 S. 3 GewStG n.F. auf die Besteuerung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 S. 3 EStG

BFH vom 07.08.2024 – IV R 22/23, NWB PAAAJ-76463

[Vorinstanz: FG Hamburg vom 29.08.2023 – 3 K 181/20, NWB QAAAJ-52698]

Der Gewerbesteuer unterliegt nach § 6 GewStG der Gewerbeertrag. Dieser bestimmt sich gemäß § 7 S. 1 GewStG nach den Vorschriften des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts für die Ermittlung des Gewinns, der für gewerbesteuerliche Zwecke zu modifizieren und um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu vermehren und um Kürzungen nach § 9 GewStG zu vermindern ist.

Daneben gilt nach § 7 S. 3 GewStG der nach § 5a EStG ermittelte Gewinn einschließlich der Hinzurechnungen nach § 5a Abs. 4 und Abs. 4a EStG als Gewerbeertrag im Sinne des § 7 S. 1 GewStG. Der fingierte Gewerbeertrag ist jedoch nicht um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu vermehren und nicht um Kürzungen nach § 9 GewStG zu vermindern, BFH vom 15.04.2020 – IV B 9/20 (AdV), BFH/NV 2020, 919.

Nach früherer Rechtsprechung des BFH vom 13.12.2007 – IV R 92/05 , BStBl. 2008 II 583 war der Unterschiedsbetrag nach § 5a Abs. 4 und Abs. 4a EStG nicht Teil des nach § 7 S. 1 GewStG maßgeblichen einkommensteuerlichen und körperschaftsteuerlichen Gewinns und damit auch nicht der Kürzung nach § 9 Nr. 3 S. 2 GewStG zugänglich. Dem folgte auch die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 31.10.2008, BStBl. 2008 I 956, Rz. 38. Diese Rechtsprechung wurde mit der Entscheidung BFH vom 25.10.2018 – IV R 35/16, BStBl. 2022 II 412 aufgegeben. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH war der Unterschiedsbetrag nach § 5a Abs. 4 und Abs. 4a EStG als Teil des einkommen- und körperschaftsteuerlichen Gewinns im Sinne des § 7 S. 1 GewStG und unterlag damit der Kürzung nach § 9 Nr. 3 S. 2 GewStG.

Der Gesetzgeber nahm diese Änderung der Rechtsprechung zum Anlass, um § 7 S. 3 GewStG mit Gesetz vom 12.12.2019 dahingehend anzupassen, dass der Unterschiedsbetrag nach § 5a Abs. 4 und Abs. 4a EStG auch unter Beachtung der Entscheidungsgründe der Entscheidung BFH vom 25.10.2018 – IV R 35/16, BStBl. 2022 II 412 nicht der Kürzung nach § 9 Nr. 3 S. 2 GewStG unterliegt, BT-DrS 19/14909, 49. Diese gesetzliche Regelung soll nach § 36 Abs. 3 GewStG in der Fassung des Gesetzes vom 12.12.2019 rückwirkend erstmals für den Erhebungszeitraum 2009 anwendbar sein.

Die Entscheidungen des BFH zur Zuordnung des Unterschiedsbetrages nach § 5a Abs. 4 und Abs. 4a EStG zur Gewinnermittlung nach allgemeinen Grundsätzen steht allerdings einer klarstellenden Regelung entgegen. Hiernach ist die gesetzliche Änderung mit Gesetz vom 12.12.2019 eine konstitutive rückwirkende Änderung der Rechtslage.

Die gesetzliche Neuregelung stellt vielmehr eine echte Rückwirkung bzw. eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen dar. Solche bedürfen aus rechtsstaatlicher Sicht einer besonderen Rechtfertigung, BVerfG vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1. Allerdings findet das Rückwirkungsverbot im Grundsatz des Vertrauensschutz nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Das Rückwirkungsverbot gilt mithin dann nicht, wenn und soweit kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts gebildet werden konnte oder ein Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war. Dem Gesetzgeber ist dann nicht verwehrt eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und Rechtspraxis entsprochen hat, BVerfG vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187.

Echte Rückwirkungen bzw. Rückbeziehungen von Rechtsfolgen liegen nach der Rechtsprechung des BVerfG nur vor, wenn eine Rechtsnorm nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift, BVerfG vom 25.03.2021 – 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177. Änderungen mit Wirkung für Zeiträume vor dem laufenden Erhebungszeitraum qualifizieren daher als echte Rückwirkungen, BFH vom 15.04.2020 – IV B 9/20 (AdV), BFH/NV 2020, 919. Maßgeblich ist mithin die im Erhebungszeitraum der Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes geltende Rechtsüberzeugung.

Dem entgegen kann eine klarstellende Rückwirkung nur vorliegen, wenn die Auslegungsoffenheit der geltenden Rechtsnorm ein Maß erreicht hat, das zur Verworrenheit der Rechtslage führt. Die schlichte Auslegungsoffenheit oder Auslegungsbedürftigkeit einer Norm und die damit bestehende Unsicherheit über deren Inhalt ist keine solche Besonderheit.

Soweit diese erst durch eine spätere Rechtsprechung erschüttert wurde, ist die spätere Rechtsprechung nicht geeignet ein Vertrauen in den Fortbestand dieser neuen Rechtsprechung aufzubauen. Eine unechte Rückwirkung bzw. eine Rückbeziehung von Rechtsfolgen bei einer sich ändernden Rechtsprechung ist in dem Fall nicht gegeben.

Die Regelung des § 7 S. 3 GewStG n.F. steht der Anwendung der 80 %-igen Kürzung nach § 9 Nr. 3 S. 2 GewStG im Übrigen entgegen.