§ 35 Abs. 2 S. 2 EStG: allgemeiner Gewinnverteilungsschlüssel des persönlich haftenden Gesellschafters der KGaA

BFH vom 24.01.2024 – I R 54/20, GmbH-StB 2024, 274

[Vorinstanz: FG Münster vom 04.12.2019 – 9 K 149/17 F, EFG 2020, 720]

Die tarifliche Einkommensteuer, die um bestimmte Beträge gemindert ist, ist zu ermäßigen soweit sie anteilig auf im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt, § 35 Abs. 1 S. 1 EStG.

Die Ermäßigung beträgt bei Einkünften aus Gewerbebetrieb aus der Tätigkeit als persönlich haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) nach § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 2. Var. EStG das Vierfache des jeweils für den Veranlagungszeitraum entsprechenden Erhebungszeitraum festgesetzten anteiligen Gewerbesteuer-Messbetrag. Der Abzug ist auf die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer beschränkt, § 35 Abs. 1 S. 5 EStG.

Für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG sind der Gewerbesteuer-Messbetrages, die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer und der auf die persönlich haftenden Gesellschaft entfallende Anteil gesondert und einheitlich festzustellen, § 35 Abs. 2 S. 1 EStG.

Der Anteil eines Mitunternehmers am Gewerbesteuer-Messbetrag richte sich nach seinem Anteil am Gewinn der Mitunternehmerschaft nach Maßgabe des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels; Vorabgewinne sind nicht zu berücksichtigen, § 35 Abs. 2 S. 2 EStG. Eine entsprechende Regelung ist dem Gesetz für den Fall der Ermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA nicht enthalten.

Die ursprünglich vorgesehene besondere Regelung zur Anrechnung bei persönlich haftenden Gesellschaftern einer KGaA (BT-DrS 14/2683, 6 und 116) wurde auf Vorschlag des Finanzausschusses (BT-DrS 14/3366, 19 und 119) nicht umgesetzt. Die Aufteilung des Gewerbesteuer-Messbetrages und der tatsächlich zu zahlenden Gewerbesteuer erfolgt daher unter rechtsformspezifischer Auslegung der allgemein für einen Mitunternehmer formulierten Regelung des § 35 Abs. 2 S. 2 EStG unter Heranziehung des abziehbaren Teils des Gewinns, der an den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA als Vergütung für die Geschäftsführung verteilt wird, § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG, und der zu den gewerblichen Einkünften des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA nach § 15 Abs. 1 2. 1 Nr. 3 2. Var. EStG zählt. Denn diese sind, soweit sie gewinnabhängig sind, nach § 8 Nr. 4 GewStG dem Gewinn der KGaA für gewerbesteuerliche Zwecke wieder hinzuzurechnen und sind beim persönlich haftenden Gesellschafter der KGaA, bei dem sie zu Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG führen, nach § 9 Nr. 2b GewStG zu kürzen, so dass diese bei der Gewerbebesteuerung der KGaA zu berücksichtigen sind. Eine Gewerbebesteuerung beim persönlich haftenden Gesellschafter erfolgt nicht.

Der Ansicht der Finanzverwaltung, BMF-Schreiben vom 03.11.2016, Rn. 27, BStBl. 2016 I 1187 (Anhang 15 ESt-Handbuch 2016) [a.A. noch BMF-Schreiben vom 19.09.2007, Rn. 27, BStBl. 2007 I 701] und des FG Münster, vom 04.12.2019 – 9 K 149/17 F, EFG 2020, 720 in der Vorinstanz die Ansicht, dass unter Vorabgewinne gewinnunabhängige und sowie gewinnabhängige Sondervergütungen des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA zu fassen sind, folgte der BFH nicht.

Dem entgegen sind Sondervergütungen im Sinne des § 35 Abs. 2 S. 2 EStG, die bei der Aufteilung des Gewerbesteuer-Messbetrages sowie der tatsächlich zu zahlenden Gewerbesteuer nicht zu berücksichtigen sind, im Falle des persönlich haftenden Gesellschafters der KGaA die gewinnunabhängigen Tätigkeitsvergütungen nach § 288 Abs. 3 AktG sowie vom Ergebnis unabhängige Gewinnanteile.

§ 35 Abs. 2 S. 1 EStG: tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer – Unterbleiben der Gewerbesteuerfestsetzung

BFH vom 28.10.2021 – IV R 12/19, NWB OAAAI-02738

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer nach § 35 Abs. 1 S. 1 um das Vierfache (bis 2019 um das 3,8 fache) des für das Unternehmen festgestellten (bei Mitunternehmerschaften: anteiligen) Steuermessbetrages (Gewerbesteuer-Messbetrag) .

Der Abzug des Steuerermäßigungsbetrages ist auf die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer beschränkt, § 35 Abs. 1 S. 4 EStG.

Bei Mitunternehmerschaften sind der Betrag des Gewerbesteuer-Messbetrages, die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer und der auf die einzelne mitunternehmerschaftlich verbundene Person entfallende Anteil gesondert und einheitlich festzustellen, § 35 Abs. 2 S. 1 EStG. Zuständig für die Feststellung ist das für die Feststellung der Einkünfte zuständige Finanzamt, § 35 Abs. 3 S. 1 EStG.

Die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrages, die Feststellung des Anteils an dem festzusetzenden Gewerbesteuer-Messbetrages und die Festsetzung der Gewerbesteuer sind Grundlagenbescheid für die Ermittlung der Steuerermäßigung im Sinne des § 35 Abs. 1 EStG, § 35 Abs. 3 S. 2 EStG. Die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrages, die Festsetzung des anteiligen Gewerbesteuer-Messbetrages aus der Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft sind Grundlagenbescheide für die Ermittlung des anteiligen Gewerbesteuer-Messbetrages im Sinne des § 35 Abs. 2 EStG, § 35 Abs. 3 S. 3 EStG.

Für die Aufteilung und die Feststellung der tatsächlich zu zahlenden Gewerbesteuer bei Mitunternehmerschaften gilt das vorstehende entsprechend, § 35 Abs. 4 EStG.

Bei allen vorgenannten Feststellungen handelt es sich um eigenständige Verwaltungsakte, selbst wenn diese zusammen mit anderen Verwaltungsakten in einem Sammelbescheid zusammengefasst wurden, BFH vom 22.09.2011 – IV R 8/09, BStBl. 2012 II 183.

Nach § 155 Abs. 2 AO kann der Folgebescheid auch dann ergehen, wenn der Grundlagenbescheid noch nicht ergangen ist. Das gilt nach § 181 Abs. 1 S. 1 AO auch im Feststellungsverfahren. In diesen Fällen liegen sog. Vorab-Folgebescheide vor. Im Rahmen dieser Bescheide werden die erwarteten Feststellungen der Grundlagenbescheide im Rahmen einer Schätzung nach § 162 Abs. 5 AO als Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid verarbeitet. Mithin erlaubt es das Verfahrensrecht eine erkennbar einstweilige Regelung zu treffen, die einem noch zu erlassenden Grundlagenbescheid vorgreift, BFH vom 25.11.2020 – II R 3/18, BFHE 272, 1.

Ergeht in der Folgezeit ein Grundlagenbescheid ist der Vorab-Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

Kommt es in der Folgezeit jedoch nicht zum Erlass des Grundlagenbescheides, bleibt es beim bisherigen – geschätzten – Ansatz, BFH vom 03.12.2008 – X R 3/17, BFH/NV 2009, 711.

Unterbleibt der Erlass eines Grundlagenbescheides findet § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO keine Anwendung. In dem Unterlassen der Festsetzung der Gewerbesteuer durch die Gemeinde liegt auch keine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO, die den Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO eröffnen könnte.

Auch der Eintritt der Festsetzungsverjährung betreffen den Grundlagenbescheid eröffnet den Anwendungsbereich der Änderungsvorschrift nicht. Das gilt auch für den Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Weder das Unterlassen der Gewerbesteuerfestsetzung noch der Eintritt der Festsetzungsverjährung ändern den maßgeblichen Sachverhalt rückwirkend. Die Verjährung führt lediglich dazu, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen, § 47 AO. Das der steuerbegründende Tatbestand verwirklicht wurde, bleibt indes unbeeinflusst. Auch die Unterlassung der Steuerfestsetzung beeinflusst die Verwirklichung des Steuertatbestandes nicht, BFH vom 08.11.2006 – II R 13/05, BFH/NV 2007, 641.

§ 35 EStG: Änderung der Anrechnung der tatsächlich gezahlten Steuer bei Eintritt der Festsetzungsverjährung der Gewerbesteuer vor Erlass eines Gewerbesteuerbescheides

BFH vom 28.10.2021 – IV R 12/19, NWB OAAAI-02738 [Vorinstanz: FG München vom 21.02.2019 – 15 K 1181/18, ]

Nach § 35 EStG erfolgt die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. In der Höhe ist die Anrechnung auf die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer nach § 35 Abs. 2 S. 1 EStG begrenzt. Ergeht ein Gewerbesteuerbescheid, ist dieser nach § 35 Abs. 4, Abs. 3 S. 3 EStG Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO für die Anrechnung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung. Ein bereits ergangener Einkommensteuerbescheid könnte nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO in der Folge geändert werden.

Unterbleibt die Gewerbesteuerfestsetzung und tritt die Festsetzungsverjährung ein hat der Eintritt der Festsetzungsverjährung keinen Grundlagenbescheidcharakter. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung qualifiziert nicht als Billigkeitsmaßnahme im Sinne des § 163 AO. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung rechtfertigt mithin keine Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO.

Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt auch nicht zu einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Denn das würde voraussetzen, dass ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ob eine steuerliche Wirkung gegeben ist, ist anhand des materiellen Steuerrechts zu beantworten, BFH vom 19.07.1993 – GrS 2/92, BStBl. 1993 II 897. Weder das Unterlassen einer fristgerechten Festsetzung der Gewerbesteuer noch der Eintritt der Festsetzungsverjährung stellen ein rückwirkendes Ereignis dar. Das mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung eintretene Erlöschen des Steuerschuldverhältnisses wirkt nur für die Zukunft, BFH vom 08.11.2006 – II R 13/05, BFH/NV 2007, 641. Nicht entscheidungserheblich ist, ob ein Erlass nach § 227 AO im Erhebungsverfahren ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist, so aber BMF vom 03.11.2016 – IV C 6-S 2996a/08/10002, BStBl. 2016 I 1187.

§ 35 EStG – Anrechnung der Gewerbesteuer im Fall eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA

FG Münster vom 04.12.2019 – 9 K 149/17, EFG 2020, 770

Auch im Fall des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA ist die Verteilung des Gewerbesteuermessbetrages und der zu zahlenden Gewerbesteuer nach § 35 EStG nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel vorzunehmen, § 35 Abs. 2 S. 2 1. HS EStG.

Zur Anerkennung des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels vgl. BFH vom 09.02.2011 – IV R 37/08, BFH/NV 2011, 1120.

Sondervergütungen und gewinnabhängige Vorabgewinnanteile sind dabei nicht einzubeziehen, § 35 Abs. 2 S. 2 2. HS EStG. Diese Ansicht vertritt auch die Finanzverwaltung in BMF vom 03.11.2016, BStBl. 2016 I 1187, Rn. 27.

Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die festzusetzenden anteiligen Besteuerungsgrundlagen der persönliche haftenden Person einer KGaA Null betragen.

Allgemeiner Gewinnverteilungsschlüssel im Fall einer KGaA sei das Verhältnis des auf die persönlich haftende Gesellschafterin entfallenden Gewinnanteils, soweit dieser nicht auf ihre am Grundkapital (Kommanditaktien) entfalle, zum Gesamtgewinn der KGaA maßgeblich.

Erhält die persönlich haftende Person neben einer Ausschüttung auf die Anteile am Grundkapital nur eine Tätigkeitsvergütung und damit eine Sondervergütung, betragen die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen Null.

Insoweit kommt der persönlich haftenden Person gegenüber einer mitunternehmerisch beteiligten Person keine Sonderstellung, da § 35 Abs. 4 EStG die Regelungen der Abs. 2 und 3 auch für diesen Fall für anwendbar hält. Dieser Regelung bedurfte es, da die persönlich haftende Person einer KGaA nach der Rechtsprechung des BFH vom 21.06.1989 – X R 14/88, BStBl. 1989 II 881, kein Mitunternehmer ist. Die persönlich haftende Person einer KGaA wird einer mitunternehmerschaftlich verbundenen Person jedoch nach § 35 Abs. 2 S. 1 EStG gleichgestellt.

Dieses Ergebnis steht auch mit den Gesetzesmaterialien in Einklang, da die im Gesetzgebungsverfahren vorgesehene Regelung, dass neben dem Gewinnanteil auch die Sondervergütungen nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1 EStG bei der Verhältnisbildung zu berücksichtigen wären,vgl. BT-DrS 14/2683, S. 6f., ist nicht ins Gesetz übernommen worden, BT-DrS 14/3366, S. 19f. Damit besteht ein abgestimmtes System. Für Zwecke der Gewerbesteuer wird die persönlich haftenden Person hinsichtlich ihrer Vergütung für die Geschäftsführung wie ein Mitunternehmer behandelt, § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG, § 8 Nr. 4 GewStG. Auf Ebene des persönlich haftenden Gesellschafters greift die Kürzung nach § 9 Nr. 2b GewStG. Damit stellt der Gesetzgeber sichter, dass die Versteuerung auf Ebene der KGaA erfolgt. Das entspricht dem Besteuerungsregieme der Mitunternehmerschaft, bei der die Tätigkeitsvergütung dem Sonderbereich zugeordnet ist.

Der Betriebsausgabenabzug nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG wird durch die Hinzurechnung des § 8 Nr. 4 GewStG wieder zurückgedreht.

Vorabgewinne im Sinne des § 35 EStG steuerrechtliche Sondervergütungen im Sinn de s§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, sondern auch gewinnabhängige Vorabgewinnanteile, BFH vom 07.04.2009 – IV B 109/08, BStBl. 2010 II 116.

Diese Rechtslage bestand im Übrigen auch schon vor dem Inkrafttreten der Unternehmenssteuerreform 2008. Damals verstand der Gesetzgeber die KGaA ausdrücklich als Mitunternehmerschaft und erwähnte sie in § 35 Abs. 2 S. 1 EStG a.F. entsprechend. Schon damals war die Berücksichtigung von Vorabgewinnen bei der persönlich haftenden Person – wie für andere Mitunternehmerschaften – ausgeschlossen.